Raudsilla

Wir hatten schon einiges zur zweiten Party auf dem BSC gehört und es wurde nicht übertrieben. Gerade unter dem Gesichtspunkt völliger Entsagung in Russland wirkt das, was hier im Wald östlich Talinns gezaubert wurde, wie das Himmelreich. Es gibt wie in den letzten Tagen keinen Strom. Man erleichtert sich auch nur auf dem Donnerbalken, aber hier hat das alles sehr viel mehr Stil. Alles ist bis ins letzte Detail durchdacht und liebevoll in die Natur eingebettet. Und fast alles ist aus Holz. Sauna inklusive. Die wird mit einem Holzofen angetrieben und als Abfallprodukt entsteht auch noch heißes Wasser für die Dusche. Zum Abkühlen springt man einfach in den angrenzenden Bach. Selbst das Klo hat – obwohl doch nur eine Luke in der Landschaft durch die man durchmachen muss – schlichtweg Stil. Man Sitz nämlich auf einem ausgehölten Baumstamm. Der Klopapierhalter ist kunstvoll entrindetes Astwerk. Die Duschen sind komplett aus Holz, nur die Jugendstil-Armaturen kommen in altbronze daher. Man fühlt sich einfach heimelig.

Das Begleitprogramm für heute liest sich toll und es wird herzererwärmend ausgeführt. Es gibt traditionelle Tänze, ein Willkommens-Drink (frisch gezapftes Saku) und man hat einen DJ von Radio Talinn engagiert. Aber das absolute Highlight ist das Buffet. Eingelegte Gurken, Sauerkrautsalat, Schweinebraten mit einem extrem scharfen Senf, Ebly-Salat und Handflächen große Sprotten. Heimspiel. Ein Matjessalat rundet das ganze ab. Es schmeckt alles richtig klasse.

Zur Überraschung aller hat der Betreiber heute auch noch ein Feuerschluckerpärchen engagiert, das ziemlich klasse ist.

Ein rundum gelungener Abend, der bei dem ein oder anderen mit der Ausnüchterung vor der Sauna endet.

 

 

Ein Tag im Juni

Es ist angenehm heute. Ein ausgiebiges Frühstück wartet an der Ruine unseres Nachtlagers auf uns. Heute steht die Ausreise in die EU an. Wir freuen uns und machen in inzwischen gewohnter Routine die angebrochenen Lebensmittel in der Kühlung leer. Danach geht es an die letzten 55km Russland. Die sind schnell abgespult und erreichen eine Lkw-Schlange kurz vor Ivangorod. Eigentlich wollten wir wegen des günstigen Preises noch tanken, aber die von uns erwählte und letzte Tankstelle vor der Grenze hat geschlossen. Dann eben nicht.

Zunächst fädeln wir uns noch hinter den Lkws ein, doch vorbeiziehende Esten zeigen uns, dass man sehr wohl mit dem Pkw bevorzugt behandelt wird. Also klemmen wir uns dahinter und kommen nach extrem kurzer Kontrolle der Ausweise auf den eigentlichen Kontrollplatz zur Ausreise aus Russland. Erste Haltelinie, warten. Das ist die Zollabfertigung. Wie bei der Einreise angegeben führen wir unseren Frosch ja auch wieder aus. Der Stempel auf dem Formular der Einreisestelle ist nicht vollständig vorhanden, das ruft ein wenig hektische Betriebsamkeit jenseits der Glasscheibe hervor. Aber man lässt uns passieren. Nun bis zur nächsten Haltelinie vorfahren und wieder aussteigen. Das nächste Wärterhäuschen wartet. Nun kommt die Prozedur zur persönlichen Ausreise. Einzeln werden die Ausweise gescannt und die Meldekarte B eingezogen. Natürlich wird alles immer von Handzeichen und Stempel begleitet. Denn nur wer den Stempel hat, darf Stufe IV erleben. Der Ausweis wird kontrolliert (klar), dann die Aufforderung, alle Türen des Fahrzeugs zu öffnen. Ein wirklicher Schnelldurchlauf einer Kontrolle erfolgt und man wünscht uns gute Fahrt (oder dass wir elendig verenden mögen – war russisch – haben wir nicht verstanden).

Nur vier Kontrollen und es geht am Schlagbaum vorbei aus Russland heraus. Dass wir noch nicht in der EU sind, wissen wir schnell, denn es gibt hier einen duty free – Markt. Gleich dahinter einen vergitterten „Knast“-Gang für Fußgänger, die die Grenze passieren möchten. Wirkt wirklich übel. Wir können kurz bei einer weiteren Kontrolle der Ausweise (Nummer 5) einen Blick auf die extrem große und gut erhaltene Festungsanlage an diesem Grenzübergang erhaschen. Scheinbar sind die beiden Städte Ivangorod und Narva schon seit dem Mittelalter Grenzpunkte.

Was jetzt kommt, ist der krasse Gegensatz zum handbetriebenen Posten von Mütterchen Russland. Vier Wartespuren mit Ampeln und ein Matrixdisplay, dass dir sagt, welche Spur dran ist und zu welchem Grenzwärterhäuschen du vorrücken darfst. Man fährt vor und wird von seinem Grenzer in Empfang genommen. Motor aus, Pässe raus und mal locker flockig wieder alle Türen der Karre auf. Die Blicke sind mehr als flüchtig. Mitkommen, auf das Gitter vor die Glasscheibe stellen und in die Kamera gucken. Ausweise werden gescannt (6). Plötzlich reißt ein Beamter die Glasscheibe auf und schreit einem anderen etwas hinterher. Wir erschrecken fürchterlich, zucken wie wild zusammen und sorgen damit bei den anwesenden Beamten für Erheiterung.

Man wünscht uns auf englisch eine gute Reise und lässt uns unseres Weges ziehen. Schlagbaum hoch und vorrücken zum Tor. Während sich dieses langsam öffnet, kommt mir Marius Müller-Westernhagen mit „Freiheit“ ins Ohr. Mit unglaublicher Glückseligkeit erreichen wir die EU und wissen plötzlich, wie gut es uns doch geht.

Den restlichen Tag vertrödeln wir mit der Anreise zur Location zur zweiten Party. Wir stellen fest, dass die estnische Ostseeküste ein hervorragendes Urlaubsgebiet ist. Ich möchte wiederkommen. In einer größeren Stadt finden wir ein Einkaufszentrum mit Baumarkt Postfiliale, Supermarkt und Subway. Wir lassen es uns gut gehen und füllen unsere Vorräte auf. Ein kleiner Snack darf nicht fehlen. Herrlich, wenn man weiß, was man hat.

St. Petersburg

Wir fangen den Tag sehr früh an, denn wir wollen zeitig in der Großstadt sein, um das Problem mit der Batterie zu lösen. Wir sind inzwischen sicher, den Fehler gefunden zu haben. Die Ladeleistung der Lichtmaschine ist zu gering, die Batterie wird nur spärlich geladen. Um die Fahrt fortführen zu können, benötigen wir wohl oder übel Ersatz. Der Plan ist also, mit dem Auto rein in die Stadt zu einem Ersatzteilhändler und dann das gute Stück ersetzen.

Es gibt aber einige Unwägbarkeiten. Man kann die Sprache nicht, wir haben keine Ahnung, wo es das Ersatzteil gibt, haben kein Internet und können den Wagen nicht ausschalten, denn dann springt er nicht mehr an. Mit diesem bunten Blumenstrauß der Behinderungen geht es jetzt auf in die Großstadt (in der übrigens alle noch schlimmer fahren als irgendwo anders, wo ich persönlich schon fuhr).

Ein Polizist hilft uns gottseidank und gibt eine gute Wegbeschreibung (in Gestiken) zum örtlichen Autoteilestrich. Hier wird alles angeboten. Meistens aus Containern. Es wirkt wie ein runtergekommener Polenmarkt, ausschließlich rund ums Fahrzeug. Aber am Ende dieser Teile-Meile kommt ein Laden namens Euro Auto. Hier finden wir einen „Verkäufer“ mit Englisch – und Fachkenntnissen und die hoffentlich richtige Lichtmaschine.

Könnte sein, dass das richtige Teil vorhanden ist, am besten gleicht man alt und neu miteinander ab. Also ran an den Wagen, noch auf dem Kundenparkplatz hochbocken und mal eben die Lichtmaschine ausgebaut. Der Vergleich zeigt aber. Dass das Teil nicht da ist.

Wir versuchen es nun nur mit dem Laderegler. Allerdings ist der auch nicht da. Als alles wieder eingebaut ist, greifen wir zur Notoption. Wir holen uns eine neue, voll geladene Batterie und hoffen darauf, wenigstens die Grenze zu erreichen.

Bedauerlicherweise hat diese ganze Fehlersuche einen halben Tag verschlungen, der eigentlich für Sightseeing in St. Petersburg eingeplant war. Ist dann halt so. Wir beschränken uns auf den Schnelldurchlauf und versuchen, einen Weg aus der Stadt heraus zu finden. Das erweist sich als extrem schwierig, sodass wir plötzlich auf der Autobahn landen. Zack, ein Autobahnjoker futsch und zwanzig Punkte in den Wind geschrieben. Blöd, aber nun ist es so. Also bleiben wir auf der Bahn und geben unser Bestes, Ortsnamen auf Anzeigetafeln herauszuorakeln. Es ist nicht lange spannend, es klappt nicht. Als wir es merken, können wir gerade noch auf eine Autobahn gen Westen abbiegen, denn wir waren in Richtung Finnland unterwegs. Jetzt fahren wir über Krohnstadt wieder zum Festland. Die Besonderheit hierbei ist, dass nur die Stadt im Wasser auf Fels gebaut ist, die beiden Dämme, die Krohnstadt mit dem Festland im Osten und Süden verbinden, scheinen künstlich angelegt worden zu sein. Skurril. Insgesamt ist der Großteil der von uns befahrenen Autobahn keine zehn Jahre alt. Kuriose Brückenkonstruktion Reihen sich aneinander. Und mittendrin das Fußballstadion und ein fast fertiger Phallus. Putinstadt baut sich seinen eigenen Megapenis mitten im Nirgendwo. Naja, wer es braucht.

Wieder am Festland wollen wir so schnell wie möglich wieder auf die Landstraße zurück und gen Südwesten fahren. Einmal landen wir am Fähranleger gen Finnland und einmal bei einer sehr unfreundlichen Grenzbeamtin am Schlagbaum zu einem Sperrgebiet. Zack, sind unsere Pässe einkassiert und die Dame verschwindet im Grenzer-Häuschen. Nach ein paar Minuten werden wir dann aufgeklärt. Touristen haben hier nichts zu suchen. Ein jüngerer Beamter zeigt uns auf seinem Smartphone Chatverläufe in WhatsApp, in denen dann auch die wichtigen Worte auf deutsch stehen. Grenzgebiet, Sperrgebiet und Tallinstraße. Eigentlich wollen wir genau dorthin. Nach diversen Konversationsversuchen haben wir dann einen groben Plan, in welche Richtung es gehen soll. Die Pässe bekommen wir zurück und werden sehr freundlich mit einem fast ironisch klingenden „welcome to russia“ entlassen.

Unsere Probleme reißen aber nicht ab. Wir wissen nicht, wie lange es mit der Batterie gut geht, kennen nicht einmal ansatzweise den Weg oder Städtenamen entlang der Route und zudem ist kaum noch Treibstoff im Tank. Schön, wenn der Körper derart auf Adrenalin ist.

Nach diversen Kilometern auf Wegen am Rande der Zivilisation erreichen wir eine Tankstelle. Hier gibt es Diesel und eine Wegbeschreibung. In die großen Kuhaugen einer Einheimischen zu schauen, während sie für sich vermeintlich Baby-einfache Worte langsam und überdeutlich in meine Richtung sagt, ist unbeschreiblich. Die Erwartung auf Verständnis steigt mit jeder Silbe in Stimme und Blick. Man könnte einer zweijährigen auch mit erwartungsvoller Miene sagen Des-oxy-ri-bu-nu-kle-in-säu-re. Unbezahlbar. Nichtsdestotrotz bringen uns Sprit und Beschreibung wieder auf Kurs und wir können uns ein Nachtlager suchen, in dem wir natürlich besucht werden. Was wir denn hier machen, deuten wir die Worte. „Parking for Sleep“ zeigen wir und man nickt wohlwollend. Den heutigen Tag möchte ich gerne abhaken, schön war der nicht.

Murmansk->St. Petersburg

Da wir vor den Toren Murmansk nichts zum Schlafen finden, brechen wir in Richtung weißes Meer auf. Der Tag ist noch nicht ganz so alt, da kann man noch Strecke schaffen. Meistens jedenfalls, denn es wirkt so, als hätte man hier erst vor kurzem das Bitumen als Fahrbahnwekstoff für sich entdeckt. Was fertig ist, wirkt experimentell, an den anderen Stellen wird gerade damit hantiert. Und bei den Baustellen reden wir vom Antichrist des deutschen Sicherheitsfanatikers. Man fährt während der Arbeiten einfach um die Maschinen herum. Kaum Absperrungen, Verkehrsführung und -leitung „light“ und der Einheimische an sich missachtet grundsätzlich jedes Tempolimit. Steht an der Baustelleneinfahrt ein Schild mit Tempo 40 und wagst du es auch nur ansatzweise dein Fahrzeug in diese niederen Temporegionen abzubremsen, wirst du mit Sicherheit von allem was Räder hat überholt. Notfalls auf beiden Seiten. Geschwindigkeit und Spurtreue sind Dinge, die man seltenst auf russischen Straßen erlebt und wir spekulieren nicht mal mehr, ob es hier Führerscheine gibt, sondern fragen uns nur noch, ob wenigstens bei der jeweiligen Fahrzeugübergabe rudimentär auf Besonderheiten des Fahrzeugsführens hingewiesen wird. Irgendwie glauben wir nicht mal mehr das.

Südlich von Kandalakshsky sehen wir das erste mal auf russischen Boden das Campingplatz-Schild. Ein wirklich sehr schlechter Waldweg führt uns zu einem verlassenen Zeltplatz. Andere Teams sind schon hier und haben den Betreiber bereits beschwatzt. Er vermietet nur noch Blockhäuser, lässt uns aber die Nacht hier wild campen. Die Anwesenden Teams überhäufen Sasha oder den Bürgermeister, wie er sich selber nennt, mit Alkoholgaben. Kaufen braucht der so schnell nichts wieder.

Am nächsten Morgen geht die Reise nach einer äußerst nassen Nacht weiter. Das erste mal so richtig Regen. Abbauen im Nassen ist immer blöd. Die russischen Straßen haben unseren Reifen sehr zugesetzt und besonders hinten links haben wir schon lange mit Luftverlust zu kämpfen. Auf einem Parkplatz bekommen wir einen Kompressor für den Zigarettenanzünder geliehen und machen einen entscheidenden Amateurfehler. Beim Aufpumpen vergessen wir, den Motor laufen zu lassen und nach sechs Minuten Kompressoreinsatz ist die Batterie leer. Zum Glück haben wir einen Jumpstart-Akku dabei und können trotzdem weiter. Allerdings erholt sich die Batterie nur spärlich und beim nächsten Tankstopp sind Batterie und Jumpstart-Akku leer und wir müssen erneut improvisieren. Ein anderes auf der Tankstelle anwesendes Team hat zufällig eine Batterie „über“, die wir erstmal mitnehmen können. Sie selbst hatten Probleme mit dem Generator, die inzwischen behoben sind. Ein hoch auf diese Holländer! Bedankt.

Neben dem ständige Ärger mit der Batterie gab es auf diesem Abschnitt noch zwei weitere Höhepunkte. Zum einen haben wir Dank einer unvorhersehbaren Bodenwelle, die es echt in sich hatte, unserem Frosch das Hüpfen beigebracht. Wir hatten bestimmt eine dreiviertel Sekunde Standzeit in der Luft und dank dieser Imitation eines Parabelfluges hat sich das Innere des Fahrzeuges einmal komplett neu sortiert. Der Spaten (oder besser das Klo) hat unsere Knäckebrot-Vorräte in Teile zerkloppt, die Kamera hat es heute fast das zweite mal aus der Halterung geholt und sämtliche Gegenstände vom Armaturenbrett waren im vorderen Bereich des Fahrzeugs umverteilt. Zum Glück blieb alles soweit heil und wir haben uns rechtzeitig sortiert, sonst hätten wir das nächste Highlight glatt verpasst.

Als wir letzte Nacht noch draußen schliefen war das nun folgende nur eine Angstmacherei und ich musste meiner Tochter versprechen, dass wir diesen Tierchen auch ja nicht zu nahe kommen werde. Doch am Wegesrand saß heute plötzlich ein kleiner Bär. Durch unser Bremsen nahm er sofort Reißaus und wir konnten ihn sehr schön beim Weglaufen beobachten. Es war definitiv ein Braunbär, und zwar ein recht junger. Wir hatten wohl gehört, dass die hier frei Leben, aber im Traum nicht daran gedacht, dass wir einen sehen würden. Aber die Begegnung hat uns auch ein wenig ängstlich gemacht, die nächste Nacht werden wir nicht allein im Zelt im Wald campieren.

Statt dessen übernachten wir fortan im Schlafsack im Auto. Gerade haben wir von einem anderen Team gehört, dass sie sogar vom Förster vertrieben wurden, da nicht nur Bären das Problem seien, sondern auch Giftschlangen.

Auf nach Murmansk

Wir stehen zeitiger auf als sonst, denn wir sind immer noch angespannt. Um uns herum haben wir nur Horrorgeschichten bezüglich der russischen Grenze gehört. Sicher, die Einreisebedingungen sind schon hart, aber wenn man sich vorher ein bisschen informiert, sollte man es schaffen, zum Beispiel nicht mehr als drei Liter alkoholhaltige Getränke mit sich zu führen. Eine Abstufung wie in der EU gibt es hier nicht. Bier ist dem Schnaps gleichgestellt, das übersehen einige und wir lesen bereits bei Facebook den ersten Eintrag, dass jemand zurückgeschickt wird.

Auch sollte man es vermeiden, offene Lebensmittel mitzuführen. Deshalb gibt es heute morgen noch einmal ein ausgiebiges Frühstück, die Reste werden an Finnlandreisende verschenkt. Dann geht es los zur Grenze. Wir haben uns den Übergang am Fluss Lotta ausgesucht, war mir irgendwie sympathisch. Nach keiner dreiviertel Stunde sind wir da. Wir fahren bei dem verlassen wirkenden Gelände an den Schlagbaum. An einer Tür sehe ich das Schild „entry“. Aha, aussteigen, reinlaufen.

Drinnen ein kleiner Raum mit Glasscheibe, wie früher die Bankschalter (die Älteren erinnern sich). Wir hören jemanden reden, irgendwo in den tiefen des Raumes hinter dieser Scheibe. Und doch sitzt der Mann direkt dahinter. Passport please. Das ist ja einfach. Also kurz hingereicht, einscannen lassen und festgestellt, dass das nur die Ausreise aus der EU war. Oh-kay.
Wir steigen in unser Auto, die Schranke öffnet sich. Gute Fahrt. Nach einem Kilometer sehen wir dann das, was uns vorher gefehlt hat. Schlagbaum hinter Schlagbaum, davor jeweils Autoschlangen. Und jeder Schlagbaum hat sein Personal mit Funke. Und Waffe. Der grimmige Gesichtsausdruck wird frei Haus oben drauf geliefert. Da wir viel Zeit haben, die Grenzsoldaten zu beobachten, stellen wir fest, dass sie ihre Neugierde nur schwer hinterm Berg halten können. Immer wieder schweifen die Blicke über die Fahrzeuge der Teamteilnehmer, mit all der bunten Beklebung. Nanu, auch nur Menschen, die ihre Vorschriften ausführen. Und irgendwie wirken sie sympathisch.

Wir bekommen noch im Auto den Vordruck zur Einreise ausgehändigt, die Meldekarte. Sie besteht aus Teil A und B. A verbleibt bei dieser Grenze, B müssen wir sorgfältig aufbewahren und bei der Ausreise abgeben. Ich Dussel verschreibe mich natürlich und bitte um einen neuen Vordruck. Da sie durchnummeriert sind befürchte ich natürlich Schwierigkeiten, aber keineswegs. Mir wird mit einem halben Lächeln ein neuer Vordruck ausgehändigt und man merkt die Gratwanderung zwischen respektforderndem Auftreten und sympathischer Mennschlichkeit. Uns wird langsam wohler.

Nach einer guten halben Stunde geht es schon weiter. Wir dürfen den Schlagbaum passieren und den Wagen auf dem eigentlichen Kontrollplatz parken. Sofort ist ein Spürhund da und schnüffelt unseren Wagen ab. Wir dürfen nun in die Baracke, den Papierkram erledigen. Zunächst werden erneut unsere Ausweise gescannt und die Meldekarten überprüft. Der Beamte lächelt sogar und macht einen Scherz. So kann es bleiben, denken wir. Das war dann die Formalität zur Einreise der Person. Jetzt folgen die Formalitäten zu dem Krempel, den wir mit uns führen.

Wenn man nach Russland einreist, sollte man am besten schon eine Adresse parat haben, bei der man wohnen wird. Macht die Sache einfacher. Wir haben so etwas nicht und wollen irgendwie nicht angeben „wild campen“, also schreiben wir einfach Camping Murmansk. Vielleicht klappt es ja. Zu verzollen haben wir eigentlich nichts, nur bei den Medikamenten sind wir unsicher, da ich wegen meiner Allergien relativ viel Zeug zur Vorsicht eingesteckt hatte. Wenn man zuviel mitnimmt, unterstellen einen die Behörden, man wolle damit handeln. Und eine feste Größe gibt es nicht. Das liegt im Ermessen des Grenzers. An dieser Stelle sei schon erwähnt, dass das gar nicht kontrolliert wurde.

Die größte und zeitraubendste Schwierigkeit ist das Ausfüllen der Papiere. Reist man mit dem Auto ein, importiert man nämlich vorübergehend einen Wertgegenstand. Das muss angegeben werden; mit Fahrgestellnummer, Baujahr, Hubraum und ungefähren Wert. Das gilt übrigens auch für Computer und Kameraausrüstung mit einem Wert über 1500$. Da die Bögen alle auf russisch sind, ist das schlichtweg unmöglich. Aber es gibt auch Vordrucke auf englisch. Und es gibt zwei Beamte, die sich immer wieder um die Teammitglieder kümmern, Fragen beantworten und bei der Abwicklung helfen. Wir sind begeistert. Zum Teil erhält man Individualbetreuung. In irgendeiner Schublade findet der eine Grenzbeamte sogar noch ein Musterexemplar auf deutsch. Ich erinnere mich in diesem Moment an deutsche Ordnungshüter und Beamte, die an dieser Stelle dann ein „die Amtssprache ist deutsch“ blaffen. Ich habe mich selbst schon diesen Satz sagen hören und werde ihn zukünftig aus meinem Repertoire streichen.

Alles weitere geht dann nach nochmaliger Wartezeit von ca 30 Minuten superschnell. Ein Posten filzt unser Auto, zu dem nur der Fahrer mitgehen darf und ich warte am Schlagbaum. Zeitweise tausche ich mich mit einem der beiden hilfsbereiten Beamten aus und werde gottseidank noch ein Dankeschön dafür los. Bisher gefällt es mir ganz gut.

Der Schlagbaum öffnet sich, wir dürfen zum nächsten vorfahren. Wieder werden unsere Ausweise kontrolliert. Der Weg wird freigegeben und wir fahren los. Gerade als man denkt, freie Fahrt zu haben kommen wir an ein verschlossenen Tor, natürlich mit bewaffnetem Grenzposten davor. Erneut eine Ausweiskontrolle und wir dürfen passieren. An der ersten Kreuzung dann noch einmal das Spiel. Ein Soldat mit Klemmbrett kommt aus einem Häuschen und gleicht unser Kennzeichen mit seiner Liste ab, wir dürfen erneut passieren. Scheinbar fahren wir über Militärgelände. Denn beim Verlassen nach knapp 90 Kilometern steht erneut ein Soldat und kontrolliert unsere Ausweise. Mich fragt er sogar auf deutsch, wie ich mit Vornamen heiße. Ich bin so perplex, dass ich nur die Antwort hervobringe. Er sagt mir seinen, lächelt und lässt uns durch. Erstaunlich, so ein Russland.

Was ebenfalls erstaunlich ist, ist die Qualität der Straße. Man muss auf alles gefasst sein und darf sich nicht von einer scheinbar durchgehenden Teerdecke täuschen lassen. Löcher, Absätze und Querrillen in der gefühlten Größenordnung „Grand Canyon“ fordern dem Fahrzeugführer alles ab. Anspruchsvoll in jeder Hinsicht. Die Gegend drum herum erinnert allerdings eher an Mordor, die Eingeweihte verstehen mich. Haufenweise abgestorbene Bäume in sumpfiger Umgebung. Unwirtlich und unwirklich. Aber mittendrin eine gut besuchte Wasserentnahmestelle. Diese öffentlichen Brunnen gibt es in Russland zu Hauf an den „Bundesstraßen“. Scheinbar gibt es hier kein flächendeckenderes Wasserversorgungssystem. Bei einer Pinkelpause dann stolpere ich über die nächste Kuriosität. Während ich mich erleichtere sehe ich nur wenige Zentimeter entfernt eine leere Schrotpatronenhülse. Oh, denke ich – und entdecke weitere, und weitere, und weitere. Als ich den Blick nach oben hebe, sehe ich, dass wirklich alles auf diesem Parkplatz durchlöchert ist, besonders die Schilder. Mir wird mulmig, beeile mich und möchte ganz schnell weiter. Auf der gesamten Strecke nach Murmansk entdecken wir das Phänomen. Hier hat jemand wirklich ein Problem.

Wir erreichen Murmansk und möchten uns unserer heutigen Tagesaufgabe stellen. Wir sollen uns vor dem ersten atomar betriebenen Eisbrecher fotografieren lassen. Welcher das ist, war bekannt, aber finde die Lenin mal in einer Stadt, gegen die Lüttich und Duisburg wie Perlen der Architekturgeschichte wirken und du wirklich kein einziges Schild lesen kannst. Wir entscheiden uns für die Eichhörnchen-Methode und kämpfen uns mühsam auf Hafengelände am Ufer entlang. Dabei sahen wir auch Perlen des Sozialismus. Eine Dame hat als Beruf Weichenwärterin auf dem Hafengelände. Die Hauptbeschäftigung hierbei ist das Fegen der manuellen Apparatur mit einem Reisigbesen. Ist auch ein Beruf hier. Ansonsten führt Murmansk diesen Eindruck fort und vor allem aus. Es wirkt hier so, wie vor Urzeiten im Sozialismus vergessen. Für uns ein krasser Kulturschock.

Und trotzdem gibt es noch die Erfüllung der Tagesaufgabe.

Finnland

Vom Nordkapp führt uns unser Weg weiter nach Finnland. Prinzipiell gibt es nun vier Möglichkeiten. Gleich in Kirkenes über die Grenze nach Russland, einen Abstecher nach Finnland machen und zurück nach Kirkenes, in Finnland bis nach Ivalo und dann dort zur Grenze oder den Schweif einklemmen und Russland meiden, sprich bis Helsinki in Finnland weiterfahren.

Wir wollen alles. Also fahren wir bis Ivalo. Auf dem Weg dorthin besuchen wir durch Zufall ein altes Feld-Lazarett aus Weltkriegszeit. Zufall, denn eigentlich ist es ein Parkplatz mit Picknicktisch. Aber hinter einem recht ansehnlichen Erdwall kommt eine verlockende Hängebrücke über den Fluss. Sie ist bestimmt 40m lang, hat an den Verbindungen das Potpourri der guten Laune von fehlenden Schrauben und hervorstehenden Nägeln. Sie wackelt herrlich. Also geht es natürlich rüber.

Der Ort selber ist beängstigend. Mitten im Wald verwittern Ausrüstungsgegenstände, Laster, Betten und Kanister. Man erkennt noch die Grundrisse. Hinweisschilder weisen einem den Pfad und sind dankenswerterweise mehrsprachig. Besonders interessant finde ich den eindrücklichen Hinweis darauf, den Pfad auf gar keinen Fall zu verlassen. Die werden wissen warum.

In Finnland selbst ist die Gegend geprägt von Wasser. Wer auch nur ansatzweise etwas unter Garantie am Wasser machen möchte, kommt hierher. Wahrscheinlich angelt auch der größte Laie hier dicke Fische.

In Ivalo selbst gönnen wir uns einen Campingplatz. 19,-€ die Nacht und die Duschen sind schlichtweg der Hammer. Es läuft permanent eine BBQ-Hütte im lappischen Stil. Ankommen und losgrillen. Feine Sache. Wer mag, darf im angrenzenden Fluss baden. Sollte ich jemals wieder herkommen, dann hier.

Der Straßenbau in den unterschiedlichen Ländern ist auch sehr interessant. Man merkt das auch an der Planung. Während hierfür in anderen Ländern sicher sehr viel Zeit und Aufwand investiert wird, wird in Finnland eine Linie von A nach B gezogen und dann Asphalt drauf genagelt. Kein Höhenausgleich, keine Niveauregulierung. Man fährt im Prinzip das innere einer Wellpappe in groß ab. In Norwegen hingegen plant man derzeit diverse Abkürzungen der Küstenstraße und bohrt wie verrückt Tunnel.

Auf zum Nordkapp

Heute ist es soweit.  Wir werden das nördlichste Ziel unserer kleinen Ostseeumrundung erreichen, das Nordkapp. Wir haben am vorigen Tag wirklich schon schöne Ecken gesehen, aber die heutige Etappe von Olderdalen nach Olderfjord ist unbeschreiblich schön. Man fährt die ganze Zeit entweder direkt an Fjorden entlang oder überquert eine Bergkuppe oder ein Hochplateau.

Die Dichte der Wohnmobile nimmt zu und so ist es kein Zufall, dass man bekannte Gesichter trifft. Eine sehr freudige Überraschung. Aber die Gegend ist auch äußert einladend.

An einigen Stellen liegt wieder Schnee und überall findet man Rentiere. Wir unken schon, dass die aus dem ganzen Land zusammengecastet wurden, denn einige sind echte Schauspieler. Da wird lässig die Straße überquert, stehen geblieben, stoisch der Hibterlauf geleckt und dann ganz gemütlich weiter des Wegs getrabt. Echte Profis eben.

Die Landschaft ist heute definitiv der Hauptdarsteller.  Wir vergessen fast, einen runden Geburtstag zu feiern. Ganz nebenbei zeigt der Tachometer nämlich den Kilometerstand 250.000. Glückwunsch, auf dass noch viele Kilometer sich dazugesellen mögen.

Mit Kurs nach Norden nimmt auch die „Wärme“ wieder ab. Während wir an den Fjorden immer über zwölf Grad Celsius hatten, erreichen wir nun nur noch sowas um die sieben Grad. Kriechkälte. Auf den letzten Kilometern zum Nordkapp dann der legendäre Tunnel. Es geht auf minus 212 Meter unter Normalnull runter. Unter den Fjord. Mit 9% Gefälle. Und der gleichen Steigung. Beeindruckend, dass diese Passage auch die vielen Fahrradtouristen nehmen müssen. Für uns wäre das mit den ganzen Fahrzeugen und den Randbedingungen insgesamt absolut nichts. Ich verneige mich vor jedem, der das hier mit dem Drahtesel macht.

Die letzten Kilometer auf dem riesigen Felsbrocken im Eismeer ziehen sich wie Kaugummi. Es ist unschön zu fahren und die drängelnden italienischen oder norwegischen Busfahrer schaffen eine angespannte Atmosphäre. Aber dann plötzlich ist man da. Am Ende einer Schlange. In kürzerer Entfernung erkenne ich zwei Kassenhäuschen und ich erinnere mich an die Worte eines Kollegen „wenn du schon da bist, denke nicht nach, sondern zahl einfach, was die haben wollen“. Genau das tun wir, schweigend, mit weit geöffneten Augen. Aber dafür dürfen wir auch 24 Stunden auf einem unbefestigten Sandparkplatz verweilen.

Das Nordkapp-Center ist wirklich toll gemacht. Es besteht aus dem Duft von Waffeln und einem riesigen Souvenirshop. Vordergründig. Denn es gibt noch weitere Etagen. Das Nordkapp hat zum Beispiel nicht nur eine eigene Postleitzahl, sondern auch ein eigenes Postamt. Was hier eingeworfen wird, bekommt den hiesigen Poststempel.

Neben diesen sehr witzigen Details hat man auch ein eigenes Museum entwickelt, mit eigenem Kino für den extra eigens produzierten Film. Klar, die finanziellen Mittel durch Eintrittsgelder dürften vorhanden sein. Aber es ist schon alles stimmig und macht auch Spaß. Und: es ist warm. Das wichtigste ist aber selbstverständlich das Foto mit dem Globus. Hierfür kommt man her. Und hierfür wartet man auch ein paar Stunden, denn in der Zeit von 1.00 Uhr bis 6.00 Uhr darf man mit dem Fahrzeug aufs Gelände.  Und genau darauf warten wir gerade, bei vier Grad Celsius, Und dem Wechselspiel von Schnee und Sonne. Und genau dieses Foto ist die heutige Tagesaufgabe.

Tag 6

…. oder der Tag des fallenden Zweirades. Der Morgen zeigt sich eindeutig versöhnlicher. Der Wind hat ein bisschen nachgelassen und wir genießen gelegentliche Sonnenstrahlen bei nunmehr sieben Grad. Es gibt lecker Knäckebrot und Kaffee. Unser heutiger Weg soll uns entlang der Fjorde einmal quer rüber mindestens bis Tromsø bringen. Das sieht auf der Karte nicht so weit aus, aber zeitmäßig ist das schon anspruchsvoll, denn man ist häufiger damit beschäftigt, einen Berg hochzukraxeln oder runterzupurzeln. Dafür ist diese Strecke aber dermaßen ansprechend, dass die Fotoapparate im Dauereinsatz sind und ich jetzt schon weiß, dass ich das Video der Dashcam häufiger ansehen werde.

Unser Frosch musste morgens ein wenig motiviert werden. Kälte mag Kermit nicht ganz so gerne, schon gar nicht mit der Nase in den Atlantikwind geparkt. Zum Glück hält das Murren nicht lange an und der Fünfzylinder schnurrt wieder wie ein Kätzchen. Spötter hatten schon gefragt, wie viele Schlagzeuger wir im Motorraum versteckt haben, aber zumindest ich habe mich an das Genagel eines Diesels ohne jedwede Zusatzaggregate gewöhnt. Kein Turbo, keine Ladeluftregulierung, kein Schnickschnack. Er ist zwar laut, aber mordzuverlässig und gar nicht mal so durstig. Wir bleiben permanent unter zehn Litern, pendeln uns sogar im Bereich von 6 bis 7,5 Litern auf 100km ein. Das finden wir sehr gut.

Auf der Straße ist heute einiges los. Zunächst geben wir einem älteren polnischen Pärchen Starthilfe. Witzigerweise hat der Mann erst gestern einem anderen Team von uns an den Bremsen geholfen. Da revanchiert man sich doch gerne.

Kurze Zeit später bemerken wir, wie im Gegenverkehr eine Motorradfahrerin am Berg ins straucheln gerät und mit der Maschine umkippt. Sie hat so viel Schwung, dass sie sogar noch einen Purzelbaum in den Graben daneben macht. Ich kann gar nicht so schnell gucken, wie Karsten angehalten ist und beim Aufsteigen hilft. Scheinbar ist heute Samaritertag.

Nochmal kurze Zeit später in einer Ortschaft. Zwei Schulkinder auf Fahrrädern überqueren den Zebrastreifen vor uns. Eines der beiden Mädchen verdreht den Kopf so sehr nach unserem Auto, dass erneut ein Zweirad in unserer Anwesenheit auf der Seite liegt. So umwerfend waren wir lange nicht. Dankenswerterweise helfen sich die Kinder noch gegenseitig und es ist scheinbar nichts schlimmeres passiert.

Wir kommen zur heutigen Tagesaufgabe. Over the top heißt sie. Wir sollen im Armdrücken mindestens einmal gegen einen Trucker gewinnen. Dann sucht man sich eben Gegner in seiner Liga.

Der Tag gipfelt hervorragend mit einem Rastplatz direkt am Fjord. Es ist nicht so kalt wie gestern, dafür gibt es ein beheiztes Toilettenhäuschen, das einem in Anbetracht der derzeitigen Temperaturen wie eine Sauna vorkommt.

Die Lofoten

Heute ist der fünfte Tag, den wir ausschließlich auf den Lofoten verbringen werden. Es fängt damit an, dass wir in der Stadt mit dem unwahrscheinlich langen Namen Å frühstücken. Auf einem Parkplatz lassen wir uns nieder und beobachten andere Touristen. Herrlich, dieses „Leute gucken“. Eine entspannendere Tätigkeit kann ich mir nicht vorstellen. Wir sitzen unweit eines riesigen Gestells voll Stockfisch. Man riecht es auch auf der ganzen Inselkette, aber wer vorher Surströming genossen hat, empfindet das hier als Deodorant.

Langsam trödeln wir die 125km zum heutigen Ziel ab. Immer wieder wechselt das Wetter, weil die Wolken je nach Höhe des Anfluges an den Bergen hängen bleiben oder eben nicht. Da wir die meiste Zeit auf der dem Atlantik abgewandten Seite verbringen, ist das heute wirklich auffällig. Was uns hier noch auffällt: wie halten sich die Bäume auf dem Gestein? An einigen Stellen ist wirklich nur Fels und trotzdem steht ein Baum drauf. Karsten tippt auf Klettverschlüsse, um die Touristen zu ärgern. Wir einigen uns darauf und dösen hier und dort noch am Strand mit dem Blick auf das Wasser. Da wir das abwechselnd machen, kann sich der eine für das Geschnarche des anderen jeweils bei den umliegend Anwesenden entschuldigen.

Unser Ziel ist heute die Midsommar-Party in Hov. Ein Campingplatz mit angrenzenden Golfplatz. Der Veranstalter hat extra eine kleine Bucht ausgesucht, in der man den Verlauf der Sonne knapp über dem Wasser hervorragend verfolgen könnte.

Soweit kommt es jedoch nicht, denn die Wetterlage lässt die Anwesenheit der Sonne nur für kürzeste Augenblicke erahnen und der Wind ist echt fies. 4Grad Celsius (ohne den Wind), die bisher kälteste Nacht. Trotz dreilagiger Bekleidung in den Dimensionen von „dick“ bis „kurz vor Flokati“ frieren wir. Der Wind hat es echt in sich.

Eigentlich sollen hier alle Teams zum ersten mal zusammenkommen und einen lustigen Abend verbringen, aber einige schreckt das Wetter und sie ziehen weiter.

Wir bleiben und wollen wenigstens die Dusche nutzen, wenn man schon mal auf einem echten Campingplatz steht. Danach werden wir noch ein bisschen grillen und den Abend im Schutze unserer fahrenden Schrankwand ausklingen lassen.

War wirklich der längste Tag

Der nächste Stopp wurde dann am Polarkreis eingelegt. Es ist ziemlich kalt hier und die Schneeschmelze ist immer noch in vollem Gange. Das haben wir bereits bei der Fotoaufgabe spüren dürfen, denn auf dem Weg über die Schneefelder musste man höllisch aufpassen, wohin man tritt. Teilweise war unter der geschlossenen Schneedecke schnell fließendes Schmelzwasser. Man hat das nur gehört, nie gesehen.

Der Weg aus den Bergen heraus war gesäumt von geradezu reißenden Flüssen. War aber auch zu erwarten, denn bis vor zwei Wochen hat es hier noch geschneit und jetzt muss der ganze ehemalige Schnee ja auch irgendwo hin. Die Landschaft ist traumhaft schön. Immer wieder reiße ich die Kamera hoch, um Fotos zu machen. Ich bin schon sehr gespannt, diese Bilder nach dem Urlaub überhaupt erst einmal zu sichten, denn dazu ist jetzt tatsächlich kaum Zeit.

Wir fahren weiter in Richtung Norden. Fauske soll unser nächster Tankstopp sein. Doch soweit kommt es nicht. Ein Jungspunt mit roter Kelle versperrt uns die Einfahrt zu einem Tunnel. Das haben wir allein in Norwegen schon als normal erlebt, denn die Bundesstraße in Richtung Norden wird gerade hinter Mo I Rana massiv ausgebaut. Wir wollten es also gerade als belanglos abtun, als der Knabe auf uns zukommt. Die Straße ist gesperrt und ob wir denn das Schild nicht gelesen haben. Da es komplett auf norwegisch war, wir es sehr wohl aber gesehen haben, mussten wir trotzdem verneinen. Es sind Tunnelarbeiten im Gange. Die Passage ist nur jeweils um 23.00 Uhr, 1.00 Uhr und um 4.00 Uhr möglich. Es ist 21.00 Uhr und wir zücken die Karte. Es gibt eine Umgehungsstraße, die führt durch eine verlassene Bergregion. So fängt jeder Horrorfilm an….

Wir werden aber mehr als entschädigt. Kermit macht trotz der 10%igen Steigung die Sache großartig. Wir haben eine ganze Reihe anderer Teams im Schlepp, die dankbar dafür sind, dass wir eine sehr genaue Karte haben. Die Gegend ist klasse. An einem großen Gebirgssee müssen wir anhalten. Postkartenmotiv reiht sich an Postkartenmotiv. Das ist schon atemberaubend hier.

Die Umgehung führt uns dankenswerterweise direkt zum Saltstraumen. Ein Strudel, der dadurch entsteht, dass die Gezeiten mit den Schmelzwassermassen kämpfen. Die Wassergeschwindigkeit ist enorm.

Es ist gerade Flut und offenbar Buffet für tausende Möven. Die Fische springen im Strudel immer wieder aus dem Wasser. Die einheimischen Fischer machen sich das zu Nutze, indem sie ihre Boote an den Strudeln platzieren. Fischschleudermaschine könnte man das nennen. Ein österreichisches Pärchen angelt Kabeljau (also sie holt die Fische, er übernimmt dann den Job an Land wegen fehlendem Glückes an der eigenen Route) und ein norwegischer trifft die einzige Ente über 25m Entfernung zielsicher mit seinem Köder am Kopf. Es war schön lustig zu sehen, wie er sich zaghaft umdrehte, um zu schauen, ob das irgendjemand gesehen hat. Wir lachen (allein schon wegen des zaghaften Umdrehens) und er jetzt auch, seine Körpersprache wechselt augenblicklich zu der eines übermütigen Schuljungen.

Inzwischen ist es 23.00 Uhr und die Sonne scheint uns direkt ins Gesicht. Hat schon was, so ein Sonnenbad mitten in der Nacht.

Wir fahren weiter nach Bodø. Dort gibt es eine Fähre auf die Lofoten (Moskenes). Wir konnten wegen der hohen Nachfrage keine Tickets mehr vorbestellen, also heißt es zeitig anstellen. Um 3.15 Uhr, 6.00 Uhr und 7.00 Uhr fährt eine Fähre ab, da bauen wir auf rechtzeitiges Erscheinen. Also fahren wir durch und sind um kurz nach Mitternacht dort. Die Warteschlange ist nur zu einem Drittel voll, also wird es wohl was mit 3.15 Uhr.

Die Überfahrt ist ziemlich ruppig, trotzdem dösen wir etwas vor uns hin. Nur ab und zu wird man von Kotzgeräuschen geweckt. Einige vertragen das wohl nicht so gut.