Da wir vor den Toren Murmansk nichts zum Schlafen finden, brechen wir in Richtung weißes Meer auf. Der Tag ist noch nicht ganz so alt, da kann man noch Strecke schaffen. Meistens jedenfalls, denn es wirkt so, als hätte man hier erst vor kurzem das Bitumen als Fahrbahnwekstoff für sich entdeckt. Was fertig ist, wirkt experimentell, an den anderen Stellen wird gerade damit hantiert. Und bei den Baustellen reden wir vom Antichrist des deutschen Sicherheitsfanatikers. Man fährt während der Arbeiten einfach um die Maschinen herum. Kaum Absperrungen, Verkehrsführung und -leitung „light“ und der Einheimische an sich missachtet grundsätzlich jedes Tempolimit. Steht an der Baustelleneinfahrt ein Schild mit Tempo 40 und wagst du es auch nur ansatzweise dein Fahrzeug in diese niederen Temporegionen abzubremsen, wirst du mit Sicherheit von allem was Räder hat überholt. Notfalls auf beiden Seiten. Geschwindigkeit und Spurtreue sind Dinge, die man seltenst auf russischen Straßen erlebt und wir spekulieren nicht mal mehr, ob es hier Führerscheine gibt, sondern fragen uns nur noch, ob wenigstens bei der jeweiligen Fahrzeugübergabe rudimentär auf Besonderheiten des Fahrzeugsführens hingewiesen wird. Irgendwie glauben wir nicht mal mehr das.
Südlich von Kandalakshsky sehen wir das erste mal auf russischen Boden das Campingplatz-Schild. Ein wirklich sehr schlechter Waldweg führt uns zu einem verlassenen Zeltplatz. Andere Teams sind schon hier und haben den Betreiber bereits beschwatzt. Er vermietet nur noch Blockhäuser, lässt uns aber die Nacht hier wild campen. Die Anwesenden Teams überhäufen Sasha oder den Bürgermeister, wie er sich selber nennt, mit Alkoholgaben. Kaufen braucht der so schnell nichts wieder.
Am nächsten Morgen geht die Reise nach einer äußerst nassen Nacht weiter. Das erste mal so richtig Regen. Abbauen im Nassen ist immer blöd. Die russischen Straßen haben unseren Reifen sehr zugesetzt und besonders hinten links haben wir schon lange mit Luftverlust zu kämpfen. Auf einem Parkplatz bekommen wir einen Kompressor für den Zigarettenanzünder geliehen und machen einen entscheidenden Amateurfehler. Beim Aufpumpen vergessen wir, den Motor laufen zu lassen und nach sechs Minuten Kompressoreinsatz ist die Batterie leer. Zum Glück haben wir einen Jumpstart-Akku dabei und können trotzdem weiter. Allerdings erholt sich die Batterie nur spärlich und beim nächsten Tankstopp sind Batterie und Jumpstart-Akku leer und wir müssen erneut improvisieren. Ein anderes auf der Tankstelle anwesendes Team hat zufällig eine Batterie „über“, die wir erstmal mitnehmen können. Sie selbst hatten Probleme mit dem Generator, die inzwischen behoben sind. Ein hoch auf diese Holländer! Bedankt.
Neben dem ständige Ärger mit der Batterie gab es auf diesem Abschnitt noch zwei weitere Höhepunkte. Zum einen haben wir Dank einer unvorhersehbaren Bodenwelle, die es echt in sich hatte, unserem Frosch das Hüpfen beigebracht. Wir hatten bestimmt eine dreiviertel Sekunde Standzeit in der Luft und dank dieser Imitation eines Parabelfluges hat sich das Innere des Fahrzeuges einmal komplett neu sortiert. Der Spaten (oder besser das Klo) hat unsere Knäckebrot-Vorräte in Teile zerkloppt, die Kamera hat es heute fast das zweite mal aus der Halterung geholt und sämtliche Gegenstände vom Armaturenbrett waren im vorderen Bereich des Fahrzeugs umverteilt. Zum Glück blieb alles soweit heil und wir haben uns rechtzeitig sortiert, sonst hätten wir das nächste Highlight glatt verpasst.
Als wir letzte Nacht noch draußen schliefen war das nun folgende nur eine Angstmacherei und ich musste meiner Tochter versprechen, dass wir diesen Tierchen auch ja nicht zu nahe kommen werde. Doch am Wegesrand saß heute plötzlich ein kleiner Bär. Durch unser Bremsen nahm er sofort Reißaus und wir konnten ihn sehr schön beim Weglaufen beobachten. Es war definitiv ein Braunbär, und zwar ein recht junger. Wir hatten wohl gehört, dass die hier frei Leben, aber im Traum nicht daran gedacht, dass wir einen sehen würden. Aber die Begegnung hat uns auch ein wenig ängstlich gemacht, die nächste Nacht werden wir nicht allein im Zelt im Wald campieren.
Statt dessen übernachten wir fortan im Schlafsack im Auto. Gerade haben wir von einem anderen Team gehört, dass sie sogar vom Förster vertrieben wurden, da nicht nur Bären das Problem seien, sondern auch Giftschlangen.