Wir haben am späten Abend noch an einer Tankstelle in Lithauen gehalten, um eine Karte von Polen zu organisieren (Danke Statoil – die anderen hatten so etwas nicht). Zunächst überqueren wir die Grenze und haben unsere erste Polizeikontrolle auf der ganzen Tour. Unsere Papiere scheinen in Ordnung zu sein, denn wir dürfen nach kurzer Haltezeit weiterfahren. Dann kann man sich ja wieder der Routenplanung zuwenden. Als ich die Karte aufschlage, bin ich ein wenig irritiert. Ich habe ein Bild vor mir, das einer Zeichnung meiner Tochter im Alter von drei ähnelt. Das ist pures Krikelkrakel. Mit Zahlen dran. Und in bunt. Wenn es hier so viele Straßen gibt, müsste man doch eigentlich schnell voran kommen, schlussfolgere ich – völlig falsch.
Polen besteht eigentlich nicht nur aus Straßen, sondern auch aus Ortschaften. Viele Orte. Man bekommt den Eindruck, dass es ein Gesetz gibt, dass es sich um eine Ortschaft handelt, wenn auch nur ein Lokus aufgestellt ist. Nicht selten ist der Abstand zwischen zwei Orten ein Kilometer oder weniger! So kommt man nicht voran, oder um in einem Filmzitat zu sprechen „wir machen kaum noch Fahrt über Grund“.
Wir beenden unser Fortkommen an diesem Abend spät und finden Unterschlupf in einem Wald. In Polen ist das wilde Campen nicht gerne gesehen, haben wir gehört, und wollen natürlich den hiesigen Beamten auch nicht gleich Grund zum Abkassieren geben. In der Nacht werden wir mehrfach geweckt, weil irgendetwas gegen unsere Funkantenne schlägt. Das Geräusch ist schlichtweg widerlich. Unsere Theorie: Fledermäuse können wegen des kleinen Durchmessers der Funkantenne nicht ausweichen und fliegen dagegen. Wir hoffen inständig, dass sich kein Tier ernsthaft verletzt hat – rund um das Fahrzeug findet sich zumindest kein Anzeichen dafür.
Am nächsten Morgen geht es dann auch weiter. Ein Versuch, das Fahrzeug zu verlassen, müssen wir total zerstochen abbrechen. Die Mücken schlagen unnachgiebig zu. Scheinbar haben sie lange nichts bekommen. Also brechen wir erst auf und entscheiden uns, das Frühstück nebst Kaffe erst später zuzubereiten. Das machen wir dann inmitten einer Stadt in einem Gewerbegebiet. Das passt ganz zufällig zur heutigen Tagesaufgabe, denn wir sollen in Polen eine Möglichkeit finden, unsere Fotos zu den Tagesaufgaben drucken zu lassen. Und tada, hier gibt es Rossmann.
Heute wollen wir noch auf der Route auch noch eine Sehenswürdigkeit mitnehmen und erleben neben der ersten Polizeikontrolle noch ein Novum auf dieser Tour. Wir benötigen das erste mal Bargeld, an einem Ort mit sechsstelligen Besucherzahlen im Jahr. Und nicht etwa Euro, nein, natürlich Zloty. Aber der Pole ist ja geschäftstüchtig, es gibt einen Geldautomat auf dem Gelände. Was für ein Zufall.
Die weitere Fahrt über polnische Straßen ist schlimmer als alles, was wir in Russland erlebt haben. Teilweise werden die Straßen saniert, aber selbst das ist reinste Flickschusterei und wirkt, als ob jeder mal randurfte. Selbst in einer langen Baustelle wirken die Abschnitte so, als durfte jeder Auszubildende sein eigenes Stück bewirtschaften. In einer weiteren Baustelle wundern wir uns nicht nur über die Baustellenabsicherung (nicht vorhanden), sondern auch über die Verkehrsführung um die Baustelle herum (wenigstens das ist im Ansatz besser als in Russland). Es gibt als einzige Maßnahme zur Absicherung Baustellenampeln. Es sind mehrere, aber man hat sich in keinster Weise Mühe gegeben, diese in mehreren Abschnitten hintereinander angebrachten Passagen aufeinander abzustimmen. Und so kommt es, dass sich endlose Autoschlangen bilden, Fahrzeuge aus reiner Genervtheit einfach bei rot fahren oder anderweitig die Ampeln einfach wegignorieren. Interessant. Scheinbar ist das mit der polnischen Straßenverkehrsordnung nur so eine Art Leitfaden, an den man sich halten sollte, nicht muss.
Eine weitere Baustelle weckt unser Interesse. Wir sehen den kompletten Aufbau einer polnischen Straße im Querschnitt und entdecken den Grund dafür, dass selbst frisch sanierte Straßen gleich wieder dellig und löchrig sind. Es wird keinerlei Untergrundbefestigung gemacht, sondern einfach der Asphalt auf eine Schicht Trägermaterial (Kies, Steine oder Sand – was gerade greifbar war) aufgetragen. Ja, so bekommt man Vollbeschäftigung und volle Auftragsbücher hin.
Insgesamt brauchen wir für die Reise durch Polen eineinhalb Tage, für etwas mehr als sechshundert Kilometer, zwei Übernachtungen inklusive. Das war noch weit vor dem letzten Abschnitt zum Nordkapp oder jeder Straße in Russland der langsamste Abschnitt auf der ganzen Tour. Erst als wir die Schnellstraße erreichen, wird es besser. Richtig gut erst auf der Autobahn an unserem letzten Tag. Denn dann durften wir sie wieder benutzen. Wir verlassen Polen über Stettin auf einer gut ausgebauten Strecke und preschen Deutschland entgegen. Dann kurz nach der Grenze noch eine absolute Neuheit auf der ganzen Tour. Wir erreichen mit Deutschland das erste richtige Funkloch der ganzen Tour. Viele Kilometer lang haben wir auf D1 und D2 einfach nichts.